Agilität hat sich zur hochgelobten Lösung für die Anforderungen unserer Arbeitswelt entwickelt. Dabei erkennt fast niemand mehr, dass Agilität in ihrer Reinkultur nicht funktioniert! 

Wie geht es Ihnen mit agilen Arbeitsformen? Haben Sie sämtliche Probleme lösen können, weil Sie jetzt in iterativen Zyklen arbeiten? Sind Ihre Kunden jetzt noch zufriedener? Und wie geht es Ihnen persönlich? Sind auch Sie glücklich darüber, dass Sie keine Position mehr haben, dafür aber jede Menge Rollen? 

Agiles Wunderwerk

Die Theorie klingt verlockend: Jeder macht das, was er wirklich, wirklich will. Wir begegnen uns auf Augenhöhe und organisieren unsere Zusammenarbeit im Team selbst. Und ganz nebenbei sind wir dabei auch noch erfolgreich – viel erfolgreicher als wir es vorher waren, als wir naiver Weise noch auf traditionelle Strukturen, Boni-Zahlungen und charismatische Führung setzten. Warum aber fühlt sich dann der Arbeitsalltag anders an? Warum all die überforderten und frustrierten Kollegen? Warum das Theater mit unseren Führungskräften,  die ihre gewohnte Führungsrolle nicht neu definieren wollen und können? Warum verlassen so viele Unternehmen die agilen Wege wieder? Und warum kommen wir, die zwar agil sein möchten, mit unserem agilen Reifegrad nicht wirklich in die Gänge? (Und haben dabei gute Gesellschaft) Es ist offensichtlich: Agilität in ihrer Reinkultur funktioniert nicht. Die Gründe dafür sind divers. Sie liegen einerseits in der Logik der Agilitätstheorie verborgen. Zum anderen aber stolpert Agilität über Organisationen, Teams und nicht zuletzt den Menschen selbst. Vor allem letzteren haben die agilen Vordenker in ihrer Kalkulation vergessen. 

Wenn der Mensch plötzlich fragil wird 

„Angst, Sehnsucht, Hoffnung, Neugierde, Neid, Rivalität, Aggression – all das soll plötzlich weg sein, weil wir jetzt in Teams arbeiten?“ fragte ein Wirtschaftspsychologe die agilen Querdenker auf einer Veranstaltung zum Agilen Arbeiten kürzlich1. Agile Theorien glaubten jegliche alte psychische Mechanismen aushebeln zu können, wunderte er sich  weiter und sprach damit an, was zwar viele spüren, allerdings niemand ausspricht. Wir Menschen sind fragile Wesen. Der Umbruch, der derzeit in der Arbeitswelt stattfindet, stresst uns. 30 % aller Krankheitsfälle sind auf psychische Belastungen zurückzuführen – Tendenz steigend, so die Experten2. Strukturen, Prozesse, Rollen – darauf gründete seit Jahrzehnten unsere Sicherheit und Stabilität. Genau diese Dinge sind es, die ehrgeizige Agilitätsbestrebungen häufig im Schnelldurchlauf abschaffen möchten. Hierarchien, Zuständigkeiten, Strukturen, Prozesse  – all das wird ein für alle Mal für ungültig erklärt. Dieser Umbruch überfordert, überlässt Mitarbeiter orientierungslos sich selbst und bereitet in manchen Fällen sogar existentielle Ängste. 

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DIE AGILITÄTSFALLE

Stabil sein – Agil Arbeiten

Thomas Würzburger zeigt in der „Agilitätsfalle“ auf, welche Fehlannahmen und Fallstricke der Agilitätsbewegung zugrunde liegen und beschreibt zugleich die unerfreulichen Konsequenzen für den Menschen, wenn man Agilität zu Ende denkt. Er erzählt dabei aus seinem Erfahrungsschatz und zeigt authentisch Parallelen zwischen erlebten Eruptionen und aktuellen Disruptionen in unserer Wirtschaft.

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Ist Freiheit ist nicht jedermanns Sache?

Kommt das an die Oberfläche, dann verstehen Unternehmenslenker meist die Welt nicht mehr. Tony Hsieh, der Chef des Online-Versandhauses Zappos, musste sich von 18 % seiner Mannschaft verabschieden, als er seine Mitarbeiter vor die Wahl stellte, den eingeschlagenen Holocracy Weg weiterzugehen oder das Unternehmen samt Kündigungsbonus zu verlassen3. Ähnlich vor den Kopf gestoßen, erlebe ich Führungspersonen, denen ihre Mitarbeiter mangelnde Führung, Management by Fear oder Verantwortungslosigkeit vorwerfen. Sie, die Selbstorganisation fördern, deren Mitarbeiter die Chefs wählen und selbstverantwortlich arbeiten. Ist der Mensch doch nicht bereit für die Freiheit im Job? Nein, das ist er nicht. Nicht, wenn Agilitätsbestrebungen nur an den Methoden und Prozessen ansetzen. Nicht, wenn Agilitätsbewegungen vergessen, dass die plötzlich zugestanden Freiheit auch ein hohes Maß an Engagement, Selbstverantwortung, Kritikfähigkeit und Reflexionsvermögen verlangt und dass man das nicht per Update in die Köpfe und Haltungen seiner Mitarbeiter bekommt. Nicht, wenn Agilitätsbewegungen außer Acht lassen, dass viele Menschen und insbesondere jene, die in bürokratischen Strukturen groß geworden sind, diese Fähigkeiten nicht ad hoc abrufen können. 

Ist es wirklich das Agile Mindset, das wir brauchen?

Dass ein agiles Wunderwerk keines werden wird, wenn man den Menschen ausschließlich als Ressource betrachtet, hat sich mittlerweile herumgesprochen. Es fehle an einem agilen Mindset, verraten Berater und agile Vordenker. Die ganzen agilen Methoden und Werkzeuge würden nichts helfen, wenn die Menschen in ihrer Haltung und in ihrem Denker noch immer die gleichen Spießer blieben. Wenn die „was-läuft-falsch-und-wer-ist-schuld-Kultur“ auch weiterhin jegliche Kreativität und Innovation bremst. Wenn Vertrauen zwar in den Unternehmenswerten glänzt, jegliches Urlaubsansuchen aber über drei Instanzen laufen muss. Damit haben sie wohl nicht ganz unrecht, die HR-Manager und Berater. Mehr aber noch wäre es an der Zeit, dass sie erkennen, dass der Mensch nicht „homo oeconomicus“, sondern auch in erster Linie ein Konstrukt aus Stärken und Schwächen, Gefühlen und Bedürfnissen ist. Wie sich diese Tatsache mit der auf Effizienz getrimmten, kapitalorientierten Denke der Agility-Bewegung vereinbaren lässt, ist vielleicht für manche Überflieger und „Rulebreaker“ klar, für mich ergeben sich da aber noch ein paar große Fragezeichen.

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Quellen: 

Setting Milestones (Hrsg) (2019): Agile Salzburg. Rainer Buchner. Was braucht der Mensch aus Sicht der Psychologie? Aufgerufen am 20.01.2019, https://www.youtube.com/watch?v=3GSePRbMKgI

2Steck, Albert (2018): Stress bei der Arbeit. Zahl der psychischen Erkrankungen ist um ein Drittel gestiegen. In: NZZ am Sonntag, 21.04.2018, Aufgerufen am 20.01.2019, https://nzzas.nzz.ch/wirtschaft/stress-bei-arbeit-zahl-psychischen-erkrankungen-ist-um-drittel-gestiegen-ld.1379549

3Bernstein, Ethan. Et al (2016): Beyond the Holocracy Hype. In: Harvard Business Review. July/August Ausgabe 2016, S. 38 – 49. 

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