Warum alle über euch reden

1980 ist lange her. In fortschrittlicheren Familien konnte man bereits vom hauseigenen Festnetztelefon den Cousin in der anderen Stadt anrufen. Jene wie ich – ich war damals zwölf Jahre alt – deren Väter überzeugt waren, dass ein eigenes Telefon für diese wenigen Anlässe wirklich nicht notwendig sei, versuchten, in der nächstgelegenen Telefonzelle private Gespräche zu führen. Es war das Jahr der Olympischen Sommerspiele in der Sowjetunion. Gehörten wir auch beim Telefon nicht zu den Vorreitern, waren wir Teil jener Familien, die zu dieser Zeit bereits einen Farbfernseher besaßen. Wir verfolgten die Spiele in unserem Röhrenfarbfernseher, dem Stolz der Familie. Die Mannschaften der UdSSR und der DDR dominierten. Sie gewannen mehr als die Hälfte aller vergebenen Medaillen. Unter dem Motto „Sehen und gesehen werden, ist des Poppers Glück auf Erden“ zelebrierten die Popper, Mitglieder einer deutschen Jugendkultur, ein unpolitisches und wenig gesellschaftskritisches Leben. Mit ihren Vespas, Lacoste Shirts und Sonnenbrillen versuchten sie, vor allem bei der Damenwelt Aufsehen zu erregen.

Aus heutiger Sicht schienen Unternehmen kommunikationstechnisch in der Steinzeit. 1980 gab es noch nicht einmal Faxgeräte! Unternehmen kommunizierten hauptsächlich per Briefverkehr. Gezeichnet durch die zweite Ölkrise 1979/80 und den schon sehr lange andauernden Kalten Krieg hoffte die Weltwirtschaft auf ein Ende der Stagnation, wieder steigende Beschäftigungszahlen und ein geeintes Europa.

Fünfzehn Jahre später, 1995, war bereits einiges anders. Statt Kotletten und Schmalzlocken trugen die Männer vermehrt Schnauzbart und die Damen waren blonder als je zuvor. Die ersten Handys tauchten auf, wenngleich auch noch in der Größe von Festnetzgeräten, nur eben ohne Kabel. Revolutionär und damals umstritten war der Einzug des Internets. Zu dieser Zeit besuchte man sogenannte „Internet Cafés“, um „ins Internet zu gehen“. Ein Artikel der „newsweek“ aus dem Jahr 1995 titelte: „The Internet? Bah!“ Der Autor, Clifford Stoll, ein US-Astronom, versuchte mit diesem Beitrag wohl, die Gesellschaft wieder auf den Boden der Realität zurückzuholen, und machte sich über die unglaublichen Prognosen der Techniker lustig: „Visionaries see a future of telecommuting workers, interactive libraries and multimedia classrooms. They speak of electronic town meetings and virtual communities. Commerce and business will shift from offices and malls to networks and modems. And the freedom of digital networks will make government more democratic. Baloney.“[1] (Stoll, 1995)

Die noch 1980 bei den Olympischen Spielen siegreichen Nationen UdSSR und DDR gab es 1995 bereits nicht mehr. Der Kalte Krieg war beendet.

So unterschiedlich diese beiden Geburtsjahre sein mögen – so haben sie doch ein gemeinsames Merkmal: Sie sind Anfang und Ende eurer Generation, der Generation Y. Einer Bevölkerungskohorte, deren Mitglieder zwischen 1980 und 1995 geboren wurden.[2] Ihr jungen Menschen wurdet hineingeboren in eine Zeit großer technischer Revolutionen (allem voran das Internet), weitreichender politischer Umbrüche und steigenden Wohlstands. Ihr seid die erste Generation, die spätestens seit ihrer Jugendzeit mit den technischen Neuerungen wie Internet und Handy aufwuchs – die ersten Digital Natives. Allem voran aber seid ihr eine Generation, über die viel diskutiert und noch mehr gemeckert wird und die manche als die „heimlichen Revolutionäre“ sehen.

Viel Lärm um euch junge Leute also! Die US-amerikanischen Historiker William Strauss und Neil Howe, die mit ihrem Werk „Millennials rising“ einen Grundstein in der Forschung um eure Generation gelegt haben, bezeichnen euch als „The next great generation“. Laut den beiden Autoren seid ihr aktive Bürger mit einem ausgeprägten Sinn für Gemeinschaft, sowohl lokal als auch global. (Strauss, Howe, 2000)

Auch der bekannte deutsche Sozialwissenschafter und Buchautor Klaus Hurrelmann glaubt in seinem Buch „Die heimlichen Revolutionäre“ an das positive Veränderungspotenzial eurer Generation. Laut Hurrelmann haben diese Veränderungen aber nicht nur das Ziel, euren materiellen Wohlstand zu steigern oder zu halten. Vielmehr geht es eurer Generation auch darum, Zeit für Freunde und Familie zu haben, gute Arbeitsbedingungen vorzufinden und in einer ökologisch intakten Umwelt zu leben. Und diese Generation ist bereit, ihr Leben dafür umzustellen, so Hurrelmann. Schon heute machen immer weniger junge Leute einen Führerschein oder besitzen ein Auto. Viele von euch kaufen regionale Lebensmittel und gebrauchte Möbel, Kleidung oder Fahrräder. Für Hurrelmann hat diese heimliche Revolution gerade erst begonnen. Sie wird die Welt in einigen Jahren jedoch eine andere sein lassen! (Hurrelmann, 2014)

Eine andere, bessere Welt. Die gegenwärtige Situation unserer Population auf dem Planeten Erde bietet ausreichend Potenzial zur Weiterentwicklung. Gesellschaftlich sehe ich eine Entwicklung in Richtung Weltgesellschaft. Unter Weltgesellschaft verstehe ich nicht eine Weltherrschaft eines Konzerns wie Google, der alle Daten in der Hand hält und unsere nationalen Staaten gänzlich ersetzen könnte. Ich fasse darunter eine Gesellschaft, für deren Mitglieder nationalstaatliche Grenzen aufgrund ihres Kommunikationsverhaltens mehr und mehr redundant werden, kommunizieren, interagieren und informieren sich die Mitglieder dieser Weltgesellschaft doch zunehmend international. Eine Gesellschaft, deren Mitglieder Freundschaften über Tausende von Kilometern hinweg pflegen, nicht davor zurückschrecken, sich für einen Arbeitsplatz zu bewerben, der im Ausland liegt, vorausgesetzt er verspricht eine interessante, sinnerfüllte Tätigkeit, und sich über Google News nicht regional, sondern themenzentriert informieren. Eure Generation ist für mich die erste Generation dieser Weltgesellschaft.

Mit Freude nehme ich wahr, dass sich eure Generation wieder berühren lässt von den großen gesellschaftlichen und politischen Fragen. Die Generation Y fragt zu Recht nach dem „Warum?“ und macht ihrem Label damit alle Ehre („Y“ wird im Englischen ausgesprochen wie „Why“ und steht damit sinnbildlich für die Sinnsuche dieser Generation). Es beruhigt mich zu sehen, dass für viele von euch ethnischer Hintergrund oder religiöse Zugehörigkeit eurer Arbeitskollegen, Freunde oder Partner keine Rolle spielen – im Gegenteil, ihr findet Bereicherung in anderen Kulturen und Lebensweisen. Wie Strauss und Howe es beschreiben, ist diese Offenheit gepaart mit einem ausgeprägten Sinn für ein Miteinander. Nicht zuletzt darum teile ich meine Hoffnung mit anderen, dass eure Generation etwas bewegen und Gesellschaft, Politik und auch die Arbeitswelt revolutionieren kann!

 Yes Y can!

[1] Visionäre sehen eine Zukunft von Telearbeitern, interaktiven Bibliotheken und Multimedia-Klassen. Sie reden von elektronischen/Online-Bürgerversammlungen und virtuellen Gemeinschaften. Handel und Arbeit werden sich von Büros und Hallen in Netzwerke und Modems verlagern. Und die Möglichkeiten digitaler Netzwerke werden Regierungen demokratischer machen. Was für ein Unsinn!

[2] Es gibt unterschiedliche Auffassungen darüber, wann die Generation Y beginnt und endet. Für einige meint diese Generation alle zwischen 1977 und 1995 Geborenen, für andere beginnt sie mit den Geburtenjahrgängen 1985 und endet 2000 und für wieder andere zählen alle nach 1980 und vor der Jahrtausendwende Geborenen dazu. Meine Auffassung von dieser Generation umfasst alle zwischen 1980 und 1995 Geborenen.

Hurrelmann, Klaus. Albrecht, Erik (2014): Die heimlichen Revolutionäre: Wie die Generation Y unsere Welt verändert. Beltz Verlag, Weinheim.

Stoll, Clifford: „Why the Web won’t be Nirvana“ in: newsweek, 27.02.95. Aufgerufen am 27.04.2015, http://www.newsweek.com/clifford-stoll-why-web-wont-be-nirvana-185306.

Strauss, Bill. Howe, Neil (2000): Millenials Rising. The Next Great Generation. Vintage Books, New York.