„Agilität kann man nicht verordnen“, sagt Christian Eibl, Expert Technical Project Manager bei der D. Swarovski KG. Eibl weiß, wovon er spricht – hinter ihm liegen 25 Jahre Führungserfahrung in unterschiedlichen Branchen und eine fundierte Auseinandersetzung mit neuen und traditionellen Arbeitsweisen im Rahmen seines Studiums am MCI. Für ihn steht fest: Agilität kann nur funktionieren, wenn in jedem einzelnen Mitarbeiter der Wille entsteht, sich persönlich weiterzuentwickeln, seine eigenen Positionen und Überzeugungen zu hinterfragen und anzupassen. Ohne dieses Umdenken ist Agilität zum Scheitern verurteilt. In unserem Gespräch erzählte er außerdem noch von pseudoagilen Managern, die immer noch glaubten, dass der agile Reifegrad ihres Unternehmens in ihrem Wirkkreis liege, von jungen Generationen, die agile Arbeitsweisen nicht erlernen müssten, sondern einfordern würden und der zunehmenden Bedeutung einer stabilen Persönlichkeit. 

TW: Herr Eibl, Sie sind jemand der mit agilen Arbeitsweisen tagtäglich konfrontiert wird. Mehr noch, Sie haben sich sogar in Ihrer Masterarbeit mit agilen vs traditionellen Arbeitsweisen in Projekten beschäftigt. Was hat Sie dazu veranlasst? Liegen die Vorteile agiler Arbeitsweisen nicht auf der Hand? 

CE: Von Beratern und in der Literatur werden agile Methoden und Techniken überall als das Allheilmittel schlechthin verkauft. Auch im Management wird zum Beispiel propagiert, dass alle Projekte, würden man nur agiles Projektmanagement anwenden, sofort in time, in scope und in cost abgeschlossen werden könnten. Es wird dabei oft vergessen, dass viele Projektleiter im klassischen Projektmanagement auch schon lange vor dem „agilen-Hype“ viele agile Elemente eingebaut haben. Darüber hinaus sind bestimmte Vorgehensweise nur fallspezifisch erfolgreich – da kommt es auf die Rahmenbedingungen und last but not least vor allem auf den Menschen an. In meiner Tätigkeit als Projektleiter war es mir wichtig, nicht blind und unreflektiert eine Methode anzuwenden, sondern zu hinterfragen, was agil überhaupt bedeutet, welche Vorteile er wirklich mitbringt und auf welche  Erfolgsfaktoren zu achten ist. 

TW: Ich erlebe es in vielen Unternehmen, dass aus der Panik heraus, in diesem Hype zu Agilität nur ja nicht den Anschluss zu verpassen, plötzlich alles agil werden soll. In vielen Fällen mit dem Ergebnis, kurze Zeit später wieder zurück zu rudern. „Agilität hört nicht in der eigenen Welt auf, sondern muss immer das jeweilige Umfeld miteinbeziehen“, sagte kürzlich ein Vortragender auf einem Kongress für agiles Arbeiten. Wie haben Sie das erlebt? 

CE: Jedes Unternehmen, jeder Mitarbeiter ist heutzutage einem immer höheren Erfolgsdruck ausgesetzt. Es wird jeder Rettungsanker ergriffen, um in dieser VUKA-Welt „besser“ zu sein als der andere bzw. zu überleben. „Lassen sie uns ab sofort agil sein, machen sie die Scrum-Master-Ausbildung und wickeln sie ab morgen ihre Projekte agil ab!“ tönt es nicht selten aus den Führungsetagen. Diejenigen, die Agilität dann umsetzen sollen, stoßen dann  im Projektteam bereits auf erste Widerstände, dann bei den benachbarten Abteilungen und Linienmanagern, der Gesamtorganisation und nicht zuletzt bei externen Stakeholder (Lieferanten, Behörden…). Nach ersten Misserfolgen und der Erkenntnis, dass man Agilität nicht verordnen kann, sondern dass jeder Projektmitarbeiter seine persönliche Einstellung selbst reflektieren und anpassen muss, ergeben sich erste Fortschritte im Projektkernteam. Das jeweilige Umfeld folgt erst in einem zweiten Schritt. Der Entwicklung zur Agilität Zeit und Raum geben, ist hier sehr wichtig. Hier wird dann gerne zu früh abgebrochen.

TW: Neben dieser Tatsache, dass man Agilität gerne schnell und unkompliziert implementiert hätte – woran stößt sich Agilität Ihrer Erfahrung nach sonst noch? Was verursacht all diesen Widerstand? 

CE: Agilität wird gerne mit Freiheit, Schnelligkeit und Eigeninitiative ohne Widerrede verwechselt. Leider beschäftigt man sich nicht zuerst mit den wahren Werte und dem positiven Menschenbild des agilen Manifests des Jahres 2001. Die Vorgesetzten hätten gerne, dass die Mitarbeiter ohne große Zeitverschwendung einfach ihre Arbeitsweise und ihr Verhalten ändern – dabei wünschen sich viele Menschen Stabilität und nicht blinden Aktionismus. Viele Mitarbeiter sind mit Selbstorganisation schlichtweg überfordert. Die Kultur in (großen) Organisationen auf agil umzustellen, kann nicht von heute auf morgen gelingen und liegt nicht im Wirkkreis einzelner Manager. Im Gegenteil, die Transformation wird sogar aufgrund des Machtverlusts von gewissen Führungskräften gezielt torpediert! Agile Arbeitsweisen haben viel höhere Ansprüche an die Persönlichkeit als die Arbeit in einer Command-and-Control-Kultur. Agile Arbeitsweisen brauchen vor allem  innere Stabilität. Der Schlüssel zum Erfolg liegt in dem Willen jedes einzelnen Mitarbeiters sich persönlich weiter zu entwickeln, eigene Positionen, Überzeugungen zu hinterfragen und anzupassen. 

TW: Ich nehme an, Sie arbeiten mit Menschen unterschiedlicher Generationen in Ihren Projekten zusammen. Sind die verschiedenen Generationen alle gleichermaßen gewillt und auch fähig, agil zu arbeiten oder nehmen Sie hier Unterschiede wahr? Wie versuchen Sie als Projektleiter diesbezüglich Rücksicht zu nehmen? 

CE: In meinen Projekten bin ich täglich mit jungen Kollegen, aber auch mit älteren Mitarbeitern in intensivem Kontakt. Als Vertreter der Generation X muss ich täglich selber an mir arbeiten, die Grundhaltung der jüngeren Generation zu verstehen und deren Energie und Änderungswille positiv zu nutzen. Andererseits muss ich auch die tendenziell konservativere Einstellung älteren Kollegen berücksichtigen. Jeder Mensch ist in seiner Zeit und unter individuellen Lebensumständen und mit spezifischen Wertvorstellungen aufgewachsen und dadurch geprägt. 

Was die Generation Y betrifft – Mitglieder dieser Generation nehme ich als offen und zugänglich wahr. In vielen Fällen fordern sie agile Arbeitsweisen sogar ein! Mein Ziel als Projektleiter ist es, die positiven Eigenschaften aller Generationen herauszuarbeiten, vermittelnd zu agieren, gegenseitiges Verständnis zu schaffen und das Ganze zu einer funktionierenden Einheit zu formen. Die Notwendigkeit zur Selbstreflexion und anschließender Adaption besteht allerdings nicht nur für die Generation Y, sondern für alle Mitglieder meiner Projekte. 

TW: Wie bewerten Sie dieses Bestreben vieler Organisationen sich als Ganzes agil aufzustellen? Talfahrt ins Chaos oder zukunftsorientierte Unternehmensführung? 

CE: Es steht einerseits außer Frage, dass wir uns laufend an die äußeren Umstände anpassen und neue Mechanismen finden müssen, um zu überleben. Es ist aber utopisch zu glauben, dass ganze Organisationen innerhalb kurzer Zeit tiefgreifende Veränderungen vollziehen können. So eine Veränderung dauert einige Jahre und höchstwahrscheinlich wird dann schon wieder der Gegentrend propagiert. Es braucht einen hohen Reifegrad in der Organisation, damit Agilität nicht in Chaos ausartet. Ich glaube, dass agile Methoden und Techniken als Erweiterung unseres Werkzeugkastens zu sehen sind und in konkreten Anwendungsfällen in agilen Teams sehr erfolgreich sein können.

TW: Agilität würde den Lackmustest noch bestehen müssen, sagte einmal ein Wirtschaftspsychologe. Wie wird es Ihrer Ansicht nach mit Agilität weitergehen? 

CE: Dave Thomas, einer der 17 Softwareentwickler des agilen Manifests vom Jahre 2001, hat in einem Vortrag „Agile is dead“ selber die Entwicklung und den Missbrauch im Umgang mit Agilität angeprangert. Wenn agil zu einem Schlagwort verkommt, das nur dazu dient, das Verhalten von Organisationen und Mitarbeitern zu verändern, um ökonomisch erfolgreicher zu werden oder nur die Trainings- und Beraterbranche profitiert, dann wird es nicht lange überdauern. Zum Beispiel ist der Hype um agiles Projektmanagement bereits abgeflaut und eine hybride Vorgehensweise setzt sich immer mehr durch. Es wurde erkannt, dass die rein agile Herangehensweise nicht immer erfolgreich ist und je nach Anwendungsfall die klassische Herangehensweise oder das Beste aus beiden Welten zielführend ist. Agil oder was auch immer in nächster Zeit in aller Munde sein wird – wir müssen die Menschen ermutigen und bemächtigen ihre Persönlichkeit weiter zu entwickeln, da die Ansprüche an jegliche Kompetenzen immer mehr steigen werden. Dabei müssen wir aber vor allem authentisch bleiben und nicht scheinagil sein, nur weil es alle von einem fordern.


Christian Eibl, Expert Technical Project Manager bei der D. Swarovski KG

Christian Eibl sammelte seine Praxiserfahrung in diversen leitenden Positionen im produzierenden Gewerbe verschiedener Industriebranchen. Als Projektleiter, Mentor und Trainer bei D. Swarovski KG, beschäftigt er sich hauptsächlich mit Leadership und Soft Skills (insbesondere mit emotionaler Intelligenz), die erfülltes, erfolgreiches Arbeiten und Leben im Wandel der Zeit ermöglichen. „Leben und Arbeiten lernen“, so lautet sein Motto, weil er weiß, dass beides Weiterentwicklung braucht. Ich betreute Christian Eibl bei seiner Masterarbeit zum agilen Projektmanagement am Management Center Innsbruck. 


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