Bedürfnisse nach Stabilität, Kontinuität oder Stille und Ruhe gelten in Zeiten von VUCA als überholt und nicht mehr zeitgemäß. Dass wir mit unserem New-Work-Mainstream allerdings das kreative Potential all jener vergeuden, die genau jene Bedürfnisse verspüren, das argumentiert Die Zeit in ihrem aktuellen Leitartikel, zu dem auch ich befragt wurde. 

Martin genießt es, wenn er die Tür zu seinem Büro einfach zumachen kann. Er braucht die Ruhe und Ungestörtheit um konzentriert arbeiten zu können. Dabei können schon einmal ganze Tage vergehen. Dafür hat das, was dabei rauskommt, Substanz: alles ist gut durchdacht, schlüssig und fundiert. 

Menschen wie Martin wird in einer Zeit des New Work- und Agilitäts-Hypes das Leben schwer gemacht. Es braucht Mut und Selbstkompetenz um sich hier dem geselligen Ideal des modernen New Workers, der einen Gutteil seines Arbeitstages in Dailys, Retros oder Lean Coffees verbringt, entgegenzustellen und zuzugeben, dass man doch eigentlich so ganz unmodern alleine, am Schreibtisch und bei geschlossener Tür arbeiten möchte. In einer (New Work-) Welt, die von eloquenten Alpha-Typen und geselligen Hier-Rufern dominiert wird, gelten Menschen wie Martin schnell als ewig Gestrige, in sich Gekehrte, die noch etwas soziale Anpassungsarbeit zu leisten hätten. 

Introvertierte und Traditionalisten – kein Platz für euch in einer VUCA-Welt

Angeblich zählte auch der Schriftsteller F. Scot Fitzgerald zu den Lauten seiner Zeit. Dennoch erkannte er: „Keine große Idee wurde jemals auf einer Konferenz geboren, aber eine Menge tollkühner Ideen sind dort gestorben. “ So zitiert ihn Die Zeit in ihrem aktuellen Leitartikel, den sie den Stillen und Introvertierten widmete: Diese würden im New-Work- und Agilitätshype nicht nur unter die Räder kommen, denen würde auch aufgrund des permanenten Interaktionsdrangs die Möglichkeit zum Innovativen und kreativen Sein genommen werden, so das selbstinterpretierte Fazit des Artikels. Mit mir sprachen die Autoren über den Agilitätstrend am Arbeitsmarkt und dessen Auswirkungen auf den Menschen. Und diese sind so bipolar wie der Mensch selbst: während (wohlgemerkt!) wenige Arbeitnehmer die notwendige Stabilität und persönliche Reife mitbringen, um in einem höchst dynamischen, agilen Umfeld bestehen zu können, kämpfen viele Arbeitnehmer – und dabei handelt es sich nicht ausschließlich um typisch introvertierte Persönlichkeitstypen – mit Überforderung, dem Verlust von Zugehörigkeit bis hin zur Angst des Nicht-Mehr-Gebraucht-Werdens. Die meisten Menschen sind nämlich nicht immer nur agil, sondern brauchen auch in ihrem Umfeld Beständigkeit und Stabilität. 

Wenn permanente Agilität überfordert

Das öffentlich anzuerkennen, gleicht in unseren Zeiten schon beinahe einem Tabubruch. Beständigkeit wäre doch nur etwas für jemanden, der sich nicht anpassen könne. Und Stabilität – das könne man sich in Zeiten von VUCA nicht mehr leisten. Dass aber wesentlich mehr Menschen darunter leiden als nur jene, die von ihrer Sozialisierung her mit diesen Phänomenen überfordert sind (das sind viele Vertreter der Generationen Babyboomer und X) oder jenen, denen man das Eigenbrötlerische und Introvertierte zuschreibt, zeigen Statistiken der Burn-out Beratungsstellen. Diese verzeichnen seit Jahren eine steigende Anzahl von Patienten, die mit ihrer Arbeitsbelastung überfordert sind. Auch die Leiterin einer Anlaufstelle für Burn-out-Patienten erzählte über eine steigende Zahl von Menschen, die über tägliche Meetings, wie sie in vielen agilen Frameworks üblich sind, und verkürzte Projektfristen klagten, so berichtete die Zeit

Würzburgers Fazit

Teamarbeit, Austausch und Flexibilität – das alles hat seine Berechtigung in einer Zeit, die uns mit Unsicherheit, Volatilität, Komplexität und Mehrdeutigkeit herausfordert. Dass Agilität allerdings schon beinahe als Dogma behandelt wird und alles andere als hinterwelterisch abgetan wird, das möchte ich entschieden kritisieren. Damit treiben wir einen bedeutenden Anteil unserer Arbeitnehmer in die Passivität oder Überforderung und verwehren uns damit auch ihres Innovations- und Kreativitätspotentials. Wesentlich sinnvoller wäre es, sich vom Hype, den der Agilitäts- und New-Work-Trend mit sich bringt, abzuwenden und endlich genau hinzuhören. Dann würden wir nämlich allesamt erkennen, dass wir diese altbackene, auf Stabilität ausgerichtete Seite, selbst in uns haben. 

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