Agilität wird an den Bremsern der Generation X und der Generation Babyboomer scheitern. 

Der Wandel würde nur über die Führungskräfte gehen, schlussfolgern viele Berater und Management-Denker nach nun schon mehreren Jahren ehrgeiziger aber mittelmäßig zufriedenstellender Agilitätsbestrebungen in den Unternehmen. Was aber, wenn diese Führungskräfte nicht daran denken, ihren über Jahre erarbeiteten Status für etwas mehr Agilität aufzugeben? Ein Blick in das Unterbewusstsein der Generation X und der Generation Babyboomer. 

Ricardo Semler bei der #NWX19: „Übergib den Leuten die Verantwortung, und die Firma läuft!“1

Ricardo Semler, brasilianischer Vorzeigeunternehmer, schaffte es mit radikalen Demokratisierungsmaßnahmen in seinem Unternehmen Semco S/A nicht nur zu beachtlichem wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch zu internationaler Anerkennung. Er war kürzlich bei #NWX19, dem Event für Neues Arbeiten in Hamburg, als Key Note zu sehen. Dort räumte er allerdings ein, dass es so leicht doch nicht wäre. Mehr als vorschnelles Copy-Paste der Erfolgsrezepte der anderen brauche es eine fundamentale Veränderung der Mentalität, der Einstellung innerhalb des eigenen Unternehmens. „Wenn ein großes Unternehmen sagt, es möchte wie ein Start-up denken – stimmt das wirklich?“ Noch ist es für viele schwer ein Bild von jener New Work zu bekommen, die zu ihrem Unternehmen und zu ihrer Situation passt. Kein Grund sich bremsen zu lassen, meint Semler: „Wenn Sie sich erst einmal in dieses unbekannte Terrain hinausgewagt haben, werden Sie eine großartige Welt voller Möglichkeiten entdecken!“2

Wenn man Verantwortung übergibt, muss man sie von irgendwo nehmen. 

Mag sein. Ist dieses unbekannte Terrain Verantwortungsübergabe, wird bei all dieser Aufbruchsstimmung aber meines Erachtens nur eine Seite der Medaille diskutiert: nämlich jene, Mitarbeitern mehr Verantwortung zu geben. Diese Seite der Medaille ist nicht jene, die die großen Konflikte hervorruft. Was in dieser Diskussion rund um Demokratisierung, Agilität und Verantwortungsübergabe häufig übersehen wird, ist die zweite Seite der Medaille: jener von Verantwortungsabgabe, Verlust von Macht, Status und Einflussvermögen. Keine unbedeutende, bedenkt man, dass Angst und Macht als die Innovationsverhinderer schlechthin entlarvt wurden3. Von irgendwo muss die Verantwortung ja herkommen, wenn man sie übergeben soll. Irgendjemand muss sie ja davor innegehabt haben. Damit tut sich nicht jeder so leicht wie Ricardo Semler, der zwar nur gelegentlich seinen Vorstandsvorsitzenden kontaktiert um nach dem Rechten zu fragen, allerdings noch immer Mehrheitseigentümer seines Unternehmens ist. Im Unterschied zu Semler nämlich, wurden dieser irgendjemandnicht mit 21 Jahren vom Vater zum Präsidenten eines 1000-Mann-Unternehmens ernannt. Im Unterschied zu Semler sind diejenigen, die sich mit dem Wandel so schwertun, in einer Welt groß geworden, in der immer jemand über ihnen stand. In einer Welt, in der es immer jemanden gab, der ihnen sagte, wo es lang ging: die Eltern, der Lehrer, der Lehrherr und später der Vorgesetzte. Sie sind in einer Welt groß geworden, in der sie der Gedanke daran, selbst einmal dieser zu sein, der den Ton angibt, antrieb. Dafür nahmen sie Vieles in Kauf: oftmals schwierige Lehrjahre, viele Einbußen wie zu wenig Zeit für Familie, schlechte Gesundheit oder eine unzulängliche Life-Work-Balance. Sie sind geprägt durch das, was ihnen der Taylorismus mitgegeben hatte und durch das Erfolgsrezept des 20. Jahrhunderts: höher, schneller, weiter – dahin wollten auch sie kommen und dafürwaren sie bereit, Vieles zu opfern. Diese anonymen irgendjemanden sind die Führungskräfte der Generation X und der Generation der Babyboomer, geboren zwischen 1946 und 1979. Sie sitzen in vielen Unternehmen in den Chefsesseln: das Durchschnittsalter deutscher Vorstandsvorsitzender liegt bei 58 Jahren4. Darüber hinaus machen sie ein Großteil aller Arbeitnehmer aus und sind nach wie vor die volkswirtschaftlich wichtigste Gruppe. 

Buchtipp:
DIE AGILITÄTSFALLE

Stabil sein – Agil Arbeiten

Thomas Würzburger zeigt in der „Agilitätsfalle“ auf, welche Fehlannahmen und Fallstricke der Agilitätsbewegung zugrunde liegen und beschreibt zugleich die unerfreulichen Konsequenzen für den Menschen, wenn man Agilität zu Ende denkt. Er erzählt dabei aus seinem Erfahrungsschatz und zeigt authentisch Parallelen zwischen erlebten Eruptionen und aktuellen Disruptionen in unserer Wirtschaft.

Mehr jetzt bestellen

Die Bremser, Widerständler und Traditionalisten der Generation X und der Generation der Babyboomer

Aber auch das sind sie und als solche werden sie gerne beschrieben, die Old-School-Führungskräfte, die nicht aus ihren Top-Level-Büros weichen wollen und noch immer lieber Statusberichte lesen als zu einem Sprint Review eingeladen zu werden. Sie befürworten zwar in vielen Fällen prinzipiell Bewegungen wie Agilität oder Demokratisierung, zeigen sich aber passiv bis widerwillig, wenn es um ihr eigenes Verhalten oder ihre Position geht. Oder wie erklären wir uns sonst die Tatsache, dass zwar fast jede Führungskraft den Mehrwert agiler Führung kräftig bejaht, hierarchische Führungsstrukturen allerdings noch immer gut etabliert sind, in den vergangenen Jahren sogar wieder zugenommen haben5?

Warum? Weil sie ganz einfach überfordert sind mit dem Paradigmenwechsel ehrgeiziger Agilitäts- oder Demokratisierungsbestrebungen. Die Tatsache, dass Fehler plötzlich gut, Abteilungsinteressen verwerflich und Hierarchien ausschließlich bürokratisch sein sollten, kriegen sie einfach nicht ganz auf die Reihe. Die Tatsache, dass Grundsätze, die lange Bestand hatten, nicht mehr gelten, lässt sie irgendwie orientierungslos zurück. Da hilft es auch nichts, wenn hippe Berater in Jeans von der Theorie Y und X erzählen und ihnen versichern, dass der Laden um so vieles produktiver laufen würde, wenn nur sie etwas von der Bildfläche verschwänden. Oder wenn sie ihnen inständig nahelegen, sie möchten doch endlich ein bisschen agiler und beweglicher werden. Was man damit erreicht? Mehr Verunsicherung, mehr Angst und mehr Widerspenstigkeit. 

Es bleibt alles beim Alten

Noch sitzen sie in den Chefsesseln, die Bremser, Widerständler und Traditionalisten der Generation X und der Generation Babyboomer. Und dort werden sie auch noch ein paar Jahr verweilen. Von dort aus werden sie weiterhin über Agilität reden, ohne selbst agil zu sein. Sie werden schöne Worte wie Vertrauen oder Empowerment in ihre Strategien mitaufnehmen und doch noch vieles selbst entscheiden wollen. So wird letzten Endes fürs erste einmal alles beim Alten bleiben, weil sich die Machthaber in den Unternehmen davor hüten werden, all das auszuhebeln, wofür sie ihr ganzes Leben so hart gearbeitet haben. Und das kann man auch irgendwie nachvollziehen. 


Quellen: 

1 Malcher Ingo: Mach es zu deinem Projekt. In: Brandeins, 09/2010. Aufgerufen am 27.02.19, https://www.brandeins.de/magazine/brand-eins-wirtschaftsmagazin/2010/nachfolge/mach-es-zu-deinem-projekt

2 Mantel, Diana: Die digitale Revolution. Aufgerufen am 11.03.19, https://newworkexperience.xing.com/livestream/?strytlpage=51

3 Deutscher Trend Index 2016. Trendklima steigt! Jeder dritte Innovationschef verhindert Innovation aus Angst. Aufgerufen am 01.03.19, https://www.zukunft.business/foresight/trendstudien/trendindex-20161/

4 Gwin, Bonnie (2015): Four Boardroom Trends to watch. Aufgerufen am 20.10.18. https://www.heidrick.com/Knowledge-Center/Publication/Board-Monitor-Survey-2015

5 Haufe GmbH (2017): Agilitätsbarometer 2017. So agil sind Unternehmen in DACH. In: Personalmagazin Sonderausgabe 2017. Aufgerufen am 28.02.2019, https://zeitschiften.haufe.de/Downloads/Personal/Agilitaetsbarometer2017.pdf, S. 18

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert